14.03.2018, Mittwoch, 20:00 Uhr

Vortrag von Prof.  Dr.  Christof Wingertszahn, Direktor des Goethe-Museums

Eintritt frei

Am 10. Januar 1825 bemerkte Goethe laut Eckermann: "Käme ich nach England hinüber, ich würde kein Fremder seyn". Der Klassiker ist nie nach Großbritannien gereist. Aber seine Kenntnis englischer Literatur ist immens, und seine Äußerungen über britische Kultur sind zahlreich und im Grunde zustimmend. Goethe erlebte über einen langen Zeitraum das Inselreich als Ort einer blühenden Literaturszene und als führende, technologisch fortgeschrittene Handels- und Seemacht. Er empfahl es den philosophierenden Deutschen einerseits als vorbildliches Land der Selbstbestimmung - der "completten Menschen" und der "tüchtigen derben Individuen" - , andererseits aber auch als Land der praktischen Vernunft. Dieses Lob gilt aber nicht uneingeschränkt. Der britische Individualismus ist dem Weimarer Genie zufolge in der Lage, auch "complette Narren" hervorzubringen, und der Wirklichkeitssinn der Insulaner kann zur skrupellosen Geschäftsmacherei werden. Das England, über das sich Goethe vor allem äußerte, ist das nach 1815, als Europa wieder in ein Gleichgewicht der Nationen umgemünzt wurde. Goethe verfolgte diese politisch bewegte Zeit genau, die von radikalen Strömungen und dem Versuch einer Verfassungsreform geprägt war. Er registrierte einen interessengeleiteten "englischen Hochmut" und beobachtete, besonders vor dem Hintergrund der Julirevolution von 1830, mit Sorge das Londoner Parlament als einen Ort "gegeneinander wirkender gewaltiger Kräfte (...), die sich paralysiren, und wo die große Einsicht eines einzelnen Mühe hat durchzudringen".


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